#4: Im »Nachtleben« (Michael)

Durch die aktuellen Corona-Auflagen empfinde ich die Buchmesse als sehr enttäuschend. Etwas abgekämpft schaue ich mir den Italiener an, den Daniela für das Treffen vorgeschlagen hat. Pizza oder Pasta geht immer, denke ich. Nur hier sieht es dann doch ein wenig nach Fast Food aus. Die Tische stehen dicht beieinander und sind gut besetzt. Enge ist mir mittlerweile tatsächlich etwas unheimlich. Aber auch, damit wir unsere Zusammenarbeit besprechen, fehlt mir hier die Ruhe.

 

Dann entdecke ich an der Ecke ein Lokal, eine Lounge, alles modern in Schwarz gehalten. »Nachtleben« steht über der Tür, ich muss schmunzeln. Leise Musik, leicht jazzig, wie ich (und Katharina König) es mag, gemütlich und wenig los. Ich wundere mich, aber für uns genau richtig. Draußen warte ich, um Daniela abzufangen.

 

Zu zweit schreiben? Klar, das wird eine Herausforderung! Tausend Punkte gehen mir durch den Kopf, an die wir denken müssen. Was wir alles klären und besprechen müssen. Wie wir zu einer gemeinsamen Geschichte kommen. Wie Daniela die Figuren von »Tabun« übernehmen kann. Sie wird sie anders sehen als ich. Also vor ihrem inneren Auge irgendwie.

 

Aus meiner Recherche in Marburg, wo viele blinde Menschen leben, der Vorbereitung auf »Tabun« und meiner eigenen Woche unter der Augenbinde habe ich ein gutes Gefühl entwickeln können, was es bedeutet, ohne Augenlicht zu sein. Zumindest eine Ahnung davon, so gut das geht. Und vom Feedback meiner auch vielen blinden Leser oder Hörer weiß ich, dass mir das wohl ganz gut gelungen ist. Auch mein Vorhaben, keine blinde Superheldin zu erschaffen, ist mir gelungen. Darauf lege ich großen Wert. Doch welcher Typ »Blinde» wird Daniela sein?

 

Da sie alleine kommt, mitten nach Frankfurt, ist sie keine, die sich daheim verkriecht, sondern mutig, aktiv und sehr selbstständig. Ich glaube, wenn ich blind wäre, würde ich mich nicht so unbeschwert aus dem Haus trauen. Ich glaube, es wird sehr spannend, so zu schreiben. Wenn alles zusammenpasst. Das muss sich ja nun erst noch zeigen und ich stelle mir vor, was Daniela dann aus Katharina macht, während ich den liebenswerten Chaoten Elias Bechstein weiter erfolgreich von seiner Jazz-Karriere in New York abhalten werde.

 

Kurz darauf sehe ich sie kommen, erkenne sie vom Foto im Internet und natürlich dem weißen Langstock. Geübt im Umgang mit Blinden und nach der Begrüßung biete ich ihr meinen Arm an und lenke sie in das »Nachtleben« an einen Tisch am Rand, wo wir ungestört reden können. Im Hintergrund höre ich Stings »Englishman in New York«.

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